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Schönheit und Raffinesse: Hinter den Mauern der Alhambra

Einfach, aber doch komplex. Zuerst ein Kreis, dann ein Quadrat. Das Quadrat dreht sich - so entsteht ein sino, ein Stern. Die Verlängerung der Linien bildet neue Sterne. Stern an Stern, ein unendliches Flechtband wächst. Der Blick gerät in Bewegung.

Die Vielfalt der Muster überrascht - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und alles beruht auf zwei schlichten geometrischen Formen: Kreis und Quadrat.

Jesús Bermúdez López, Archäologe:

"Man darf nicht vergessen, dass die nasridische Zivilisation, die Kultur, das Reich der Nasriden der Kultur des Islams angehört, eines Islams hispano-muselmanischer Ausrichtung. Sozusagen ein europäischer, südeuropäischer Islam, der aber eine Tradition und kulturelle Werte hat, die im Laufe von Jahrhunderten kodifiziert wurden. Es stimmt nicht, dass es ein explizites Verbot menschlicher Darstellungen gibt; es gibt aber eine Tradition, diese Darstellungen zu vermeiden."

Die Alhambra ist durchdrungen vom Gedanken an das Göttliche. Es gibt keine Trennung zwischen religiösem und weltlichem Leben am Hofe. Selbst die irdische Macht der Sultane kann sich dem nur unterordnen. "Allein Gott ist der Sieger" - der Wahlspruch der Nasriden ist allgegenwärtig auf den Wänden der Alhambra.

Im Koran wird Gott als Schöpfer, Erschaffer und Gestalter gepriesen. Eine Schöpfung mit drei verschiedenen Dimensionen: Das Universum, die Natur und der Mensch. Die Dekorationen der Alhambra vereinen diese Elemente: Die Geometrie repräsentiert die Ordnung des Universums - Pflanzen verweisen auf die Natur - das Wort auf den Menschen. Die Handwerker und Architekten der Alhambra begaben sich auf die Suche nach der Schönheit und ihren Proportionen. Schon im Mittelalter versuchten Mathematiker aller Länder das geheimnisvolle System der Formen und Proportionen zu ergründen. Aber die komplexen mathematischen Konstruktionen geben noch heute Rätsel auf.

Mit dem Stalaktitengewölbe, auf Arabisch muqarna, erreichte die nasridische Kunst den Gipfel der Vollkommenheit. Was bei den Fliesen zweidimensional begann - hier setzt es sich in der dritten Dimension fort. Der Ausgangspunkt ist wiederum simpel: Man nimmt ein Prisma und entfernt das untere Ende. Diese Grundform wird vervielfältigt - vorgefertigte Prismen werden mit Gips verklebt. Über 5000 einzelne Stalaktiten hat man gezählt. Auf einer Hilfskonstruktion aus Holzleisten wächst das Meisterwerk in die Höhe. Der Eindruck ist verblüffend: Die Decke scheint zu schweben.

Über dem quadratischen Grundriss eine achteckige Trommel mit Doppelfenstern. Darauf die Kuppel mit der typischen Laterne. Das Stalaktitengewölbe im Saal der zwei Schwestern: Der Kubus als Symbol der Erde - die Kuppel als Symbol des Himmels.

Dort ist die herrliche Kuppel, ohne Gleichen, Du wirst ihre Schönheit sehen, verborgen und sichtbar zugleich. Orion reicht ihr die Hand, sie zu grüßen, und der Vollmond nähert sich ihr zum Gespräch.

Am Firmament stehen die Sonne, auf Arabisch "shams", und "qamar", der Mond. Die Jalousien im oberen Wandbereich nannte man shamsiya oder qamriya - je nach der Intensität des Lichts, das sie in die Räume lassen. Sie sind aus Holz oder Gips, zwischen den Flächen war einst farbiges Glas. Die Dekoration beruht wieder auf den geometrischen Figuren, meist Sternen. Das Licht verstärkt den Effekt der schwebenden Decke. Die muqarnas geraten durch den Wechsel des Lichteinfalls in Bewegung.

Dekorativ und funktional zugleich: die taqas, in die Wände eingelassene Nischen. Hier standen einst Kannen mit frischem Wasser, das Gästen gereicht wurde - zum Stillen des Durstes oder zum Händewaschen.

"Einem Hochzeitsthron gleiche ich, übertreffe ihn gar, dem Brautpaar versichere ich Glück. Wer zu mir kommt und klagt über Durst, dem gibt meine Quelle süßes Wasser, klar und unvermischt. Ich bin wie der Regenbogen, erschienen in der Sonne unseres Herren Abu l-Hayyay."

So spricht die linke taqa von sich - gedichtet wieder vom Hofdichter Ibn al-Jatib.

José Miguel Puerta Vílchez, Arabist und Professor für Kunstgeschichte, Universität von Granada:

"Die Alhambra ist eigentlich aus Texten erbaut. Die ganzen Wände - von den Sockeln ausgehend bis zu den Bögen und Fenstern - sind mit Worten beschrieben. In einer Art und Weise, dass uns - wenn wir alle tragenden Elemente beseitigten - nur eine Architektur aus Worten übrig bliebe. Oft sprechen die Gedichte in der ersten Person, in der ersten weiblichen Person. Die Poesie erhebt die Gebäude zu etwas Unerreichbarem und die eigene Architektur zu etwas Unvergleichbarem."

Die Verse an den Wänden sind in zwei Schriftarten geschrieben: Die "kufische Schrift" verdankt ihren Namen der Stadt Kufa, die als Wiege der islamischen Kultur gilt. Die ersten Korantexte sind in dieser Schrift geschrieben. Sie ist steil, mit vielen geraden Linien, die einen Rhythmus ergeben - deshalb eignet sie sich besonders als geometrisches Element. Die "Nasch-Schrift" dagegen ist eine "Kursive" oder Handschrift und noch heute für Literatur und Korrespondenz gebräuchlich.

Die Comares-Fassade vereint alle Arten der Dekoration: Die Fliesen - die Inschriften, zum Lobe des Sultans - und schließlich die muqarna. Als Krone: die prächtige Dachtraufe.

Meine Stellung eine Krone, meine Tür ist die Stirn: in mir beneidet der Orient das Abendland.

Die Architektur der Nasridenpaläste spielt mit Flächen und Volumina - der Wechsel von Höfen und Gebäuden, von geschlossenen und offenen Räumen, von verzierten und nackten Wänden ist keineswegs zufällig. Die Außenwände des Comares-Palasts und des Löwenhofs ergeben ein Quadrat. Die beiden Flächen stehen zueinander im Verhältnis der Quadratwurzel - wie oft in der Alhambra. Purer Zufall?

Gemächer sind immer im rechten Winkel an den Innenhof angesetzt. Beim Anbau der würfelförmigen qubba ließ man drei Außenmauern freistehen - eine Schutzmaßnahme vor den gefürchteten Bränden.

Jesús Bermúdez López:

"Letztlich wurzelt das hispano-musulmanische Haus in gewisser Weise auch in der Tradition des mediterranen Gebäudes; offen, um einen Innenhof angelegt, mit Wasser und Pflanzen und dem 'impluvium romanum'. Der Islam wusste diese Anpassungsfähigkeit an die Umwelt zu schätzen, als sie ihr Nomaden-Dasein aufgaben und sesshaft wurden."

Der Ursprung der Nasriden lag in Nordafrika. Als Nomadenstämme zogen sie von Ort zu Ort, immer auf der Suche nach einem besseren Siedlungsplatz. Das Nomadenzelt, das chaima, erfüllte dabei mehrere Zwecke für die Bewohner - und diese Tradition spiegelt sich in der Architektur der Nasriden wider.