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Der Meister der europäischen Höfe

Thomas Hoffmann, Kunsthistoriker:

"Dieses Gemälde von Peter Paul Rubens schlägt die Brücke zur Breughel-Familie. Jan Brueghel der Ältere - ein guter Freund von Rubens - hat es für das Grabmal Pieter Bruegel des Älteren, seines Vaters, bei Rubens bestellt."

Christus übergibt die Schlüssel zum Himmel seinem Stellvertreter auf Erden: dem heiligen Petrus - also dem Namenspatron von Pieter Bruegel - oder `Breugel´, wie er im Deutschen meist genannt wird. Als Rubens dieses Bild 1613 malt, ist er schon in ganz Europa berühmt. Ein wahrer Kosmopolit: geboren 1577 in Siegen, aufgewachsen in Köln und Antwerpen, dann acht Jahre in Italien, unter anderem als Hofmaler in Mantua.

1608 ist er nach Antwerpen zurückgekommen. Jetzt arbeitet er für die spanischen Statthalter - und bald auch am französischen, englischen und spanischen Königshof. Und nicht nur als Maler: Erzherzogin Isabella betraut ihn mit diplomatischen Missionen, unter anderem in Madrid. Einige Jahre später schickt ihn der spanische König seinerseits zu Friedensverhandlungen nach London. Er ist so erfolgreich, dass ihn Philipp IV. in den Adelsstand erhebt - und bald darauf schlägt ihn auch der englische König zum Ritter. Mit selbstverständlicher Gewandtheit bewegt sich Rubens an allen Höfen - nicht nur, weil er fünf Sprachen spricht.

Thomas Hoffmann:

"Er ist für mich einer der intelligentesten, auf jeden Fall einer der gebildetsten Künstler der gesamten Kunstgeschichte gewesen. Er konnte jede Quelle im Originaltext lesen. Er hatte eine riesige Bibliothek und hat eine riesige Kunstsammlung sich in seinem eigenen Haus angesammelt. Darunter zum Beispiel auch eine Mumie. Darunter eben auch Raffaels, Tizians, alle großen Künstler der europäischen Malergeschichte haben in seiner eigenen Privatgalerie gehangen. Und sein Haus war mehr nur als ein Haus - das war ein fürstlicher Palazzo, mit einem riesigen Wohnbereich und eben einem riesigen Abteil für Malereiproduktion."

Dort arbeiten immer mehr Schüler. Denn Rubens ist bald so berühmt, dass er die vielen Aufträge gar nicht mehr selbst ausführen kann. Meist entwirft er nur noch die Kompositionen in kleinen Ölskizzen, so genannten Modellos. Gerade hier sieht man seine große Meisterschaft: wenige, lockere Striche und etwas Farbe - so entstehen kleine Meisterwerke. Die Umsetzung ist dann Aufgabe der Mitarbeiter. Diese kleine Skizze von 1627 etwa wird zum Altarbild einer Kirche in Antwerpen - knapp sechs Meter hoch und vier Meter breit!

Kurz bevor die Gemälde fertig sind, überarbeitet sie der Meister persönlich - und macht sie so zu echten Rubens. Wie Lucas Cranach ist auch er "Chefdesigner", der kreative Kopf der "Marke Rubens". Wer den Pinsel führt, ist zweitrangig.

Thomas Hoffmann:

"Die Idee steht höher als das ausgeführte Werk. Und sein geistiges Potenzial ist eigentlich auch das, was diesen Künstler so außergewöhnlich macht."

Das zeigt sich vor allem in seinen Historienbildern: Rubens kann in einzelnen Bildern ganze Geschichten erzählen - so vielschichtig, dass man ihn als den "Homer der Malerei" rühmt. Hier eine Erzählung aus den "Metamorphosen" des römischen Dichters Ovid: An einen Felsen gefesselt, soll die Königstochter Andromeda geopfert werden - in letzter Sekunde rettet sie der Held Perseus.

Aber Rubens erzählt nicht nur die Rettung, sondern auch, was vorher geschehen ist.

Perseus hat die schreckliche Medusa enthauptet - die Schlangenhaare ihres Kopfes schauen unter seinem Schild hervor. Das geflügelte Pferd Pegasus ist nach ihrem Tod aus dem Körper der Medusa entsprungen und hat Perseus übers Meer zu Andromeda getragen. Dort hat er das Ungeheuer besiegt, dem Andromeda geopfert werden sollte. Jetzt befreit er die Königstochter.

Mit einer kraftvollen Bewegung tritt er zu ihr - und hat sich schon in die verletzliche Schöne verliebt. Gerade diese Bewegung ist typisch für Rubens: er malt keine statischen Figuren, sondern erweckt Menschen zum Leben. Dazu trägt auch das helle Licht bei, das hier etwa Andromedas Körper so zart und empfindsam wirken lässt.

Und Rubens erzählt auf vielen Ebenen. Oft enthalten seine Gemälde Anspielungen auf die Politik seiner Zeit. So könnte Perseus hier etwa für einen Feldherrn oder König stehen, der ein Land - verkörpert von Andromeda - von den Fesseln und vom Ungeheuer des Krieges befreit. In Europa tobt zu dieser Zeit der 30jährige Krieg - und Rubens verabscheut Kriege.

Dieser Kupferstich zeigt, wie wichtig ihm der Mythos von Perseus und Andromeda ist: auch über dem Eingang seines prächtigen Palastes hängt ein Bild davon. Und fast zwanzig Jahre später malt er die Andromeda noch einmal. Modell ist diesmal seine zweite Frau Hélène Fourment. Bei der Hochzeit 1630 war Rubens 53, seine Braut gerade sechzehn Jahre alt!

Auch das wohl letzte Gemälde seines Lebens zeigt Hélène, diesmal als heilige Cäcilie. Beide Bilder hingen in Rubens' eigenem Haus - er hat sie nie verkauft. Sie zeigen den typischen molligen Frauentyp: noch heute spricht man von "Rubens-Figur". Damals entsprach sie dem Geschmack der Zeit - und Rubens malte sie so lebendig wie niemand anders. Gebildeter Kosmopolit, Europäer par excellence, Meister des Barock - wenige Künstler haben einen so nachhaltigen Einfluss gehabt wie Peter Paul Rubens. Kaum ein Genre, in dem er nicht zum Vorbild für andere wurde. Sein Schüler Antonis van Dyck wanderte nach England aus - und noch fast hundertfünfzig Jahre nach Rubens' Tod beeinflusste er die englischen Maler, allen voran Joshua Reynolds.

Doch auch Rubens hat von seinen Vorgängern gelernt. Schon in Italien hatte er die alten Meister studiert - und die revolutionären Bilder seines jungen Zeitgenossen Caravaggio.