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Die Mauern von Babylon

Im Jahre 1897 finanzierte der bedeutende Mäzen James Simon, Inhaber der größten Baumwollfabrik der Welt, eine Forschungsreise nach Mesopotamien. Robert Koldewey wurde zum Leiter ernannt. Sein Auftrag: spektakuläre Funde für die Berliner Museen. Und den erfüllte er auf sensationelle Weise: er erweckte das legendäre Babylon zu neuem Leben. Erst achtzehn Jahre später vertrieben ihn englische Truppen von dort. Den größten Teil seiner Funde musste er 1917 in den Wirren des Ersten Weltkriegs zurücklassen.

Schon bei seiner ersten Grabung begleitete Koldewey ein Assistent, über den er schrieb:

"Ich habe hier einen harmlosen Jüngling bei mir, der kann nicht einmal ein Wolfloch von einem Stemmloch unterscheiden - aber er malt und zeichnet entzückend."

Er ahnte nicht, dass der Jüngling das Vorderasiatische Museum in Berlin prägen sollte wie niemand sonst. Sein Name: Walter Andrae. Andrae erwies sich als brillanter Schüler. Nach wenigen Monaten schon hatte er aus kleinen Ziegelstücken die damals völlig unbekannten babylonischen Löwen rekonstruiert. Der Grünschnabel wurde ein Meister der Archäologie. Koldewey schickte ihn nach Assur, und Andrae grub die alte Hauptstadt Assyriens aus.

1928 schließlich wurde Walter Andrae selbst Direktor der Vorderasiatischen Abteilung. Kurz vorher hatten die Behörden im Irak endlich Koldeweys Funde freigegeben. Nach zehn Jahren Ungewissheit kamen 400 Kisten mit Ziegelbrocken in Berlin an. Ein immenses Puzzle begann - noch dazu unter großem Zeitdruck, denn der neue Museumsbau war fast fertig.

Das erste Problem: In der Erde waren schädliche Salze in die glasierten Ziegelfragmente eingedrungen. Einmal ausgegraben, würde die Luftfeuchtigkeit die Bruchstücke unweigerlich zerstören. Wieder und wieder spülten sie die Restauratoren deshalb in demineralisiertem Wasser, in hunderten von Bottichen, für die Andrae sogar einen Teil der Kolonnaden neben der Nationalgalerie zumauern ließ.

Dann begann die eigentliche Arbeit. Einhunderttausend Fragmente lagen vor dem Team, kein einziges größer als eine Faust. Es war nicht einmal klar, welche Fragmente zu welchen Ziegeln gehört hatten. Die Restauratoren ordneten sie auf langen Tischen einfach nach ihren Farben. Innerhalb von nur zwei Jahren setzten sie dann in einer unendlichen Geduldsarbeit 42 Stiere, Drachen und Löwen neu zusammen. Um die großen Flächen zwischen den Reliefs originalgetreu zu ergänzen, mussten die Forscher zudem die Kunst der antiken Glasur neu entdecken. Mit einem Brei aus geschmolzenem Sand und Asche, gefärbt mit Kobalt und Kupferoxid, mit Wasser gemischt und auf die Backsteine aufgebrannt, hatten die Babylonier 20.000 Ziegel glasiert. Aber diese Technik war seit langem vergessen. Nur mit viel Forschergeist gelang es schließlich einer Brandenburger Brennerei, fehlerfreie Ziegel nach altem Muster herzustellen.

Nicht zuletzt aber kämpfte der brillante Visionär Walter Andrae noch mit einer anderen Schwierigkeit: der Phantasielosigkeit der Preußischen Bürokraten.

Dr. Evelyn Klengel-Brandt, Direktorin des Vorderasiatischen Museums 1991-97:

"Er hat auch selbst berichtet, dass er, um das Ischtar-Tor nun aufbauen zu können - man damals ja der Meinung war, na, die Tiere sehen ja alle gleich aus, da kann man ja bloß eins gestalten und das würde ausreichen. Und er hatte dann Theatermaler von der Staatsoper gewonnen, die haben einen ganzen Plafond mit den Tieren bemalt, und haben das dann dort angebracht, an der Stelle, wo jetzt das Tor steht, und dann wurden die ganzen Entscheidungsträger eingeladen - und als sie das sahen, waren sie überzeugt und haben zugestimmt, dass das ganze Tor auch mit den vielen gleichartigen Tieren rekonstruiert und aufgebaut würde."

Bei der Eröffnung des Pergamonmuseums bot sich den staunenden Besuchern ein Anblick, der in Mesopotamien selbst schon vor Jahrtausenden verschwunden war: die Mauern von Babylon.