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Hinter den Kulissen des Ägyptischen Museums Berlin

In jedem großen Museum ist die öffentlich zugängliche Ausstellung nur die Spitze des Eisbergs. Der weitaus umfangreichere Teil der Aktivitäten spielt sich hinter den Kulissen ab. Im Ägyptischen Museum Berlin sind etwa 800 Artefakte ausgestellt - in den Depots aber lagern über 100.000 Einzelstücke. Eine Vielzahl von Mitarbeitern sorgt dafür, dass diese immense Sammlung nicht nur erhalten und gepflegt, sondern vor allem auch wissenschaftlich genutzt wird.

Dietrich Wildung, Direktor des Museums von 1989-2009:

"Die eigene Beteiligung eines Museums an der Ermittlung historischer Fakten ist natürlich in erster Linie Forschungsarbeit. Das ist Forschungsarbeit in den eigenen Magazinen, das ist Forschungsarbeit an den ausgestellten Stücken - Forschungsarbeit ist dann aber im Idealfall auch die Gewinnung neuen historischen Materials durch Feldforschung vor Ort, in unserem Fall also im Niltal, sei es in Ägypten oder - wie es für das Ägyptische Museum Berlin zutrifft - derzeit im Sudan, also im südlichen Nachbarland Ägyptens."

Karla Kroeper, Expeditionsleiterin in Naga/Sudan:

"Also, wir graben grundsätzlich von Januar bis etwa Ende März - Anfang Januar ist für uns natürlich die beste Zeit, da haben wir relativ kühle Temperaturen, so um die 25 Grad, und dann Ende März müssen wir die Grabungen einstellen, weil wir da dann etwa mit 50 Grad im Schatten zu rechnen haben, und das ist dann eben nicht mehr vertretbar - selbst Beduinen fangen dann an zu schwitzen."

Kein einfaches Unterfangen also. Auch die geografische Lage erleichtert die Arbeit nicht gerade. Mitten in der Steppe, etwa 100 Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, ohne jegliche Infrastruktur: die endlose Weite lässt die heutige Arbeitsweise erscheinen, als wäre die Zeit der großen spektakulären Expeditionen noch Gegenwart.

Karla Kroeper:

"Der Amun-Tempel war von Anfang an sehr stark eingesandet, man hat an der Oberfläche praktisch nur die Oberante der großen Tore gesehen und die Widder von einer Widderallee die es mal gegeben hat. Die Widder, als wir in Naga anfingen, waren - wie man hier sehr schön sieht - völlig eingesandet."

Nach zwei Jahren harter Arbeit blicken die ausgegrabenen Widder in altem Stolz über die Wüste. Dazu musste eine Sandwand von mehr als 2 m Höhe auf einer Länge von 50 m in einzelnen Körben abgetragen werden. Aber die Mühe lohnt sich.

Karla Kroeper:

"Wenn wir einen Fund haben, ist natürlich das ein aufregender Moment. Man hat dann natürlich gerne die Tendenz dazu, das sofort anschauen zu wollen. Das ist wahrscheinlich einer der schwierigsten Momente im Leben eines Archäologen - wo man sich dann aber leider zurück halten muss und sollte, weil dieser Fund natürlich erst dokumentiert werden muss. Wenn etwas zum Vorschein kommt, muss es erst eingemessen werden, um festzuhalten wie hoch und wie tief es liegt, wie weit es von anderen Objekten entfernt ist - dann muss es fotografiert werden, damit wir die erste Lage wieder rekonstruieren können später in unseren Dokumenten - und dann muss es natürlich sehr, sehr langsam entfernt werden, bevor man dann wirklich dieses Objekt endlich am Ende in der Hand halten kann."

In der Frühzeit der Archäologie glichen die Grabungsexpeditionen manchmal wahren Beutezügen, mit denen die Schatzsucher ihre Geldbörsen und die europäischen Hauptstädte ihre Museen füllten. Heute dienen Ausgrabungen eher der Gewinnung von neuen Erkenntnissen und nicht dem Anhäufen von Schätzen. Aber trotzdem gelangen auch in jüngerer Zeit noch neue Stücke nach Berlin: meist durch Ankauf im Kunsthandel - oder durch Vereinbarungen mit der jeweiligen Regierung, die Funde zwischen Ausgräbern und Gastgeberstaat aufzuteilen, wie es bis 1984 üblich war.

In jedem Fall landen neue Objekte zunächst in den eigentlichen Schatzkammern des Ägyptischen Museums: den Depots. Derzeit gibt es zehn davon, über ganz Berlin verteilt. In ihnen werden die gesammelten Kostbarkeiten der letzten 150 Jahre aufbewahrt, nach Material sortiert. Hier im Sockelgeschoß des Pergamon-Museums zum Beispiel lagern vor allem Statuen und Figuren aus Stein verschiedenster Größen und aus allen Epochen.

Innerhalb der einzelnen Depots sind die Objekte nach Gruppen geordnet. Eine solche Gruppe bilden etwa die sogenannten Kanopengefäße.

Frank Marohn, Museumswissenschaftler:

"Diese Kanopengefäße waren sehr wichtig für die Beisetzung des Verstorbenen. Der Verstorbene wurde mumifiziert, und die Eingeweide wurden entnommen und in diesen Gefäßen mumifiziert eben beigesetzt. Dann kam der Deckel drauf, und die Gefäße wurden mit in das Grab des Grabbesitzers gestellt."

Allein die Gruppe der Kanopengefäße umfasst in Berlin über 100 Einzelstücke. Jedes davon hat eine Inventarnummer, unter der in der zentralen Datenbank alle Informationen abrufbar sind, die mit diesem Objekt in Zusammenhang stehen.

Wichtigstes Detail ist natürlich der Standort: auch jedes Regal und jeder Fachboden tragen eine Nummer - hier zum Beispiel Regal 542, Fach 2. Darüber hinaus vermittelt eine Farbkodierung weitere Informationen über jedes einzelne Stück der Sammlung.

Wie wichtig dieser Aufwand bei der Archivierung ist, zeigt sich gerade hier im Metalldepot mit seinen unzähligen kostbaren Kleinobjekten. Alleine der Gott Osiris ist mit mehreren hundert Bronzestatuetten vertreten. Unzählige Grabbeigaben sollten den Toten auf der Reise ins Jenseits beistehen.

Mumien - für viele Museumsbesucher der mystische Höhepunkt der ägyptischen Kultur. In den Depots des Berliner Museums lagern rund 60 Mumien aus allen Epochen des ägyptischen Altertums. Sie sind besonders empfindlich. Im Mumiendepot muss deshalb immer ein konstantes Klima von 20 Grad Celsius und 45 Prozent Luftfeuchtigkeit eingehalten werden.

Dass die Mumien auch nach Jahrtausenden noch so gut erhalten sind, zeugt von der großen Kunst der Ägyptischen Handwerker - und von ihrem tiefen Glauben. Der Akt der Mumifizierung selbst war für die Ägypter tabu, und abgeschirmt von den Blicken der Lebenden ruhten die Mumien in den Gräbern. Nicht nur Pharaonen und Angehörige höherer Berufsschichten wurden für das ewige Leben im Totenreich einbalsamiert:

Frank Marohn:

"Neben einer Vielzahl von menschlichen Mumien besitzt das Ägyptische Museum auch eine große Anzahl von Tierleichen. Zum Beispiel eine kleine Katze, wo sogar die Ohren und auch die Augen nachgebildet wurden. Darüber hinaus gibt es aber auch zum Beispiel Mumien von Krokodilen zu sehen. Diese Krokodilmumien können eingewickelt sein - dann sehen die so aus - es gibt aber auch ausgewickelte Exemplare, die dann so aussehen. Diese Tiermumien stellen Personifizierungen für die entsprechenden ägyptischen Götter dar."

Die Bedingungen, die für Mumien besonders wichtig sind, gelten ebenso für alle anderen organischen Materialien: auch hier im Holzdepot muss das Klima genau überwacht werden. Denn nur dem konstanten Klima in den hermetisch abgeschlossenen Grabkammern verdanken wir, dass Holz und andere organische Materialien überhaupt bis heute erhalten sind.

Zur Pflege und zur wissenschaftlichen Untersuchung der Bestände unterhält das Museum verschiedene Werkstätten. Dafür verantwortlich sind die Restauratorinnen.

Margret Pohl, Restauratorin:

"In der Holzrestaurierungswerkstatt des Ägyptischen Museums werden nicht nur Holzobjekte bearbeitet, sondern alle Objekte des Ägyptischen Museums aus organischem Material. Dazu gehört u.a. auch Elfenbein, Objekte aus Kartonage, aus Pflanzenmaterialien sowie auch zum Beispiel Muscheln."

Das Berufsbild von Restauratoren ist sehr vielschichtig. Sie sind neben der eigentlichen Restaurierung für die fachgerechte Lagerung der Stücke zuständig. Dazu gehören insbesondere die Klimakontrolle, die Zustandsdokumentation und die Betreuung der Ausstellungsobjekte. Bei der Restaurierung und Pflege der Altertümer selbst müssen sie, auf der Grundlage modernster wissenschaftlicher Erkenntnisse, für jeden einzelnen "Patienten" eine eigene Strategie zur optimalen Behandlung entwickeln. Sehr oft sind dabei die Hinterlassenschaften früherer Heilungsversuche ein großes Problem.

Franziska Dötzl, Restauratorin:

"Zum Beispiel wurde hier im Rahmen einer früheren Restaurierungsmaßnahme eine großflächige Kittung aufgebracht, auf der dann die originale Scholle, Farbscholle befestigt war. Das hat dazu geführt, dass der Formverlauf, der originale Formverlauf, leicht gestört war. Nach der heutigen Auffassung ist es eben so, dass man diese Kitte - die man auch hier noch gut erkennen kann - wieder herausnehmen würde und versucht, sich alte und originale Verbindungsmöglichkeiten zu Nutze zu machen. Das ist eben zum einen dieses Dübelloch - das gibt's auch auf dieser Seite noch - man fertigt eben neue Dübel an und setzt das Stück dann auf diese Art und Weise ein. Das ist in der alten Herstellungs-Technik."

Gisela Engelhardt, Restauratorin:

"Diese Objekte sind in einem Zeitraum von 5000 v. Chr. bis ungefähr 1000 n. Chr. entstanden, und möchten alle irgendwann mal restauriert werden. An diesem Relief, das aus der Amarna- Zeit stammt, hab ich Wochen und Monate gearbeitet. Zur Restaurierung haben wir hier ein Vorzustandsfoto, auf dem ist ziemlich deutlich zu sehen, dass diese Stele in vier große Fragmente auseinander gebrochen war; an der Seite sind noch mehrere kleine Fragmente, die später angeklebt wurden - und ich hab im Zusammenhang mit der Arbeit festgestellt wie die Maltechnik dieser Stele aufgebaut wurde.
Dieser Träger, das ist in dem Fall Kalkstein, der wurde geschliffen, begradigt, es wurde eine Vorzeichnung angefertigt, die aus rosaroten Konturstrichen bestand, dann wurde das Relief eingearbeitet, dann kam es zur gelben Untergrundschicht, generell durch bis in den roten Rahmen hinein, und dann wurden im Prinzip die Farben auf das Gelb gesetzt.
Das ist auch eine ungewöhnliche Darstellung, und zwar zeigt es einen Syrer beim Biertrinken. Ein Syrer in Ägypten ist wirklich außergewöhnlich: es war sozusagen ein Fremdarbeiter, und dieses ist eine Gedächtnisstele. Das bedeutet, dass nach seinem Tod eine Art, ja, Stele hergestellt wurde - aber dieser Syrer konnte sich ja als Ausländer kaum vor ägyptischen Totengöttern zeigen."

So entsteht in der Zusammenarbeit aller Bereiche des Ägyptischen Museums - der Werkstätten, der Depots und der Ausgräber vor Ort - wie in einem Puzzle ein immer klarer werdendes Bild vom Leben und der Kultur im Alten Ägypten.