Logo

Die Sammlung Farnese und die Geschichte des Museums

1534 wird Alessandro Farnese, Sohn einer alten Adelsfamilie, zum Papst gewählt. Als Paul III. wird er vor allem für Nepotismus berühmt: als erste Kardinäle ernennt seine eigenen Enkel. Schon vor der Wahl hatte er antike Kunstwerke gesammelt. Auch dafür nutzt er jetzt sein Amt: mit einem Edikt sichert er 1540 der Bauhütte von St. Peter die Exklusivrechte an allen Ausgrabungen in Rom. Und alle zutage geförderten Funde gehen direkt in seinen persönlichen Besitz. Pauls Nachfahren sammeln weiter, und so wächst in den Palästen der Familie in zwei Jahrhunderten ein immenser Schatz von antiken Kunstwerken - die "Sammlung Farnese".

Die Farnese sammeln nicht aus wissenschaftlicher Neugier. Die Statuen dienen der Repräsentation: man will sich in die große Tradition der Antike stellen. Deshalb stehen besonders die römischen Kaiser hoch im Kurs - heute versammelt in der Galerie der Imperatoren.

Zu den berühmtesten Werken gehört ein Porträtkopf des Kaisers Marcus Aurelius Severus Antoninus - besser bekannt als "Caracalla" nach einem keltischen Mantel, den er am liebsten trug. In den Gesichtszügen spiegelt sich erstaunlich schonungslos seine Persönlichkeit: schon bei den Zeitgenossen war Caracalla für seine Brutalität bekannt. Um alleine herrschen zu können, hatte er seinen eigenen Bruder in den Armen der Mutter ermordet.

Das Porträt stammt aus den Thermen, die Carcalla in den Jahren 212 bis 216 in Rom hatte bauen lassen, um sein Image aufzupolieren - eine der größten Thermen-Anlagen überhaupt mit Platz für 2000 Badegäste. Vor allem in ihren Ruinen lässt Papst Paul Mitte des sechzehnten Jahrhunderts graben. Dabei kommen grandiose Statuen ans Licht - und wandern sofort zur Dekoration in den neuen Palazzo Farnese. Michelangelo persönlich bekommt den Auftrag, die monumentalen Figuren dort zu inszenieren.

1546 entdeckt man in den Caracalla-Thermen eine Statue, die schon in der Antike berühmt war: den Herkules. Genauer gesagt: eine römische Kopie, signiert von Glykon aus Athen. Das Vorbild, geschaffen vom großen griechischen Bildhauer Lysippos, war zu Caracallas Zeiten schon fünfhundert Jahre alt. Heute ist es verloren.

Die Statue zeigt Herkules in einem Augenblick der Ruhe. Der bärtige, nackte Koloss lehnt sich auf seine Keule, über der das Löwenfell hängt und die auf felsigem Untergrund steht. In der rechten Hand hält er die Äpfel der Hesperiden - Zeichen dafür, dass er die letzte seiner zwölf Taten vollbracht hat. Aber er tritt uns nicht triumphal entgegen, er führt uns die Zeugnisse seiner Taten nicht stolz vor - er versteckt die Äpfel eher beiläufig hinter dem Rücken. Sein Kopf ist demütig auf die Brust geneigt, der Blick wirkt müde.

Als man die Skulptur entdeckt, fehlen ihr die Beine. Guglielmo della Porta, ein Schüler Michelangelos, modelliert neue. Zwar werden die Originale bald darauf gefunden - aber della Portas Neuschöpfung gefällt besser. Erst gut 200 Jahre später fügt Carlo Albacini die antiken Beine wieder ein.

Im Sommer 1545 kommen im Hof der Caracalla-Thermen die Bruchstücke der größten Skulpturengruppe zutage, die aus der Antike erhalten ist. Ein gewaltiges Werk aus einem einzigen Marmorblock, über 37 Tonnen schwer - mehr als 130 Tonnen müssen bei der Entstehung abgeschlagen worden sein. Berühmt wurde die Gruppe als der ‚Farnesische Stier', aber eigentlich zeigt sie "Die Bestrafung der Dirke".

Euripides hat die Geschichte in einer Tragödie erzählt: Königin Dirke von Theben quält die schöne Antiope aus Eifersucht und fordert schließlich von den Zwillingen Zethos und Amphion, sie zu töten. Niemand aber weiß, dass die beiden Antiopes Söhne aus einer Affäre mit Zeus sind. Erst ein Hirte lüftet das Geheimnis. Daraufhin binden die Zwillinge die böse Dirke selbst auf die Hörner eines Stieres.

Die Szene fängt diesen Augenblick ein. Antiope scheint ihre Söhne mäßigen zu wollen, aber die rasen vor Wut. Zethos zieht den Stier mit einem Seil zu sich herab, während Amphion mit beiden Händen seinen Kopf gepackt hat - das wilde Tier wird mit Gewalt dazu gezwungen, die Hinrichtung zu vollziehen. Zethos reißt die entblößte Dirke nach hinten, um sie unter den Stier zu werfen. Die Bildhauer zeigen den Moment höchster Spannung kurz vor der grausamen Strafe - was folgt, bleibt der Einbildungskraft der Betrachter überlassen.

Die Szene spielt auf einem Berg, der dem Gott Dionysos geweiht war. Darauf deuten die bukolischen Motive auf dem Fuß der Gruppe hin. Die Bestrafung der Dirke ist ein typisches Thema des Dionysos-Kultes - alleine in Pompeji hat man in acht verschiedenen Häusern Bilder davon gefunden. Damals wie heute fasziniert die rasende, ekstatische Brutalität der Szene.

Schon in der Antike war diese Gruppe ein Begriff. Der Universalgelehrte Plinius der Ältere - berühmter Beobachter und Opfer des Vesuvausbruchs - erwähnt sie in seiner "Naturgeschichte":

"Dirke und der Stier, mit der Fessel aus demselben Stein [gefertigt, das] aus Rhodos hergeschaffte Werk des Apollonius und Tauriskos."

Noch ist nicht endgültig geklärt, ob dieses Werk das Original aus Rhodos ist oder doch eine römische Kopie aus der Zeit der ersten Kaiser. Viele römische Statuen sind Kopien griechischer Originale - auch die berühmten "Tyrannenmörder".

Im Jahre 514 vor Christus töteten die beiden Athener Harmodius und Aristogeiton den Bruder des Tyrannen Hippias. Die Tat wurde zum Symbol für die griechische Demokratie. Die Athener ließen auf der Agora Statuen der beiden aufstellen, geschaffen 476 vor Christus von den großen Bildhauern Kritios und Nesotes. Ihre Skulpturen waren in der Antike berühmt - sind aber verloren gegangen. Nur dank dieser römischen Kopien wissen wir, wie sie einst ausgesehen haben müssen. Sie gelten als ein Hauptwerk des so genannten "Strengen Stils", also des Übergangs von der archaischen zur klassischen Kunst in Griechenland.

Die beiden Figuren sind ursprünglich nicht als Einheit konzipiert: jede sollte für sich wirken. Aber sie sind durch ihre Tat verbunden - durch das Ideal der Freiheit, für die sie gemeinsam kämpfen und letztlich ihr Leben opfern.

Auch der so genannte Farnese-Atlas ist die römische Kopie einer hellenistischen Skulptur aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Der Titan Atlas ist von Göttervater Zeus dazu verurteilt worden, die Welt auf seinen Schultern zu tragen. Hier allerdings zeigt der Globus den Sternenhimmel - nicht realistisch, sondern symbolisch. Einundvierzig Sternbilder sind dargestellt, etwa der Schwan und die Lyra - der Widder und die anderen Bilder des Tierkreises entlang der Ekliptik, also der scheinbaren Bahn der Sonne im Laufe eines Jahres. Diese Reliefs sind die älteste überlieferte Darstellung des westlichen Sternhimmels - man vermutet, dass sie auf dem Sternenkatalog des Hipparchos aus dem Jahre 129 vor Christus beruhen.

Das Gesicht des Atlas allerdings stammt nicht aus der Antike. Es ist im achtzehnten Jahrhundert von Carlo Albacini ergänzt worden. Damals war Werktreue nicht wichtig.

Valeria Sampaolo, Direktorin des Museums:

"Die Skulpturen, die in der Sammlung Farnese vereint sind, zeigen eine Mode, zeigen, wie man während der Renaissance und des Barock empfunden hat. Zu dieser Zeit fasste man das Fragment nicht als solches auf, sondern jede Statue musste komplett sein - und deshalb wurde sie ergänzt. In der Sammlung Farnese werden wir niemals - außer in einem einzigen Fall - Statuen ohne Kopf sehen. Auf den Statuen sind Köpfe angebracht worden, die Guglielmo Della Porta, Camuccini, Albacini und andere neu geschaffen hatten. Deshalb hat der Besucher vor den Statuen heute denselben Eindruck den man im sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert hatte."

Zuerst sind es Künstler der Renaissance auf der Suche nach antiken Bildmotiven, dann entdecken bald auch die Aristokraten und Herrscher die Schönheit der winzigen Meisterwerke: Antike Gemmen, mit Bildern gravierte Edelsteine.

Im Altertum hatte man sie zunächst als Siegel benutzt, dann auch als Schmuck und Schaustücke. Ein Jahrtausend später werden sie zu begehrten Sammelobjekten. Die berühmteste Kollektion der Renaissance tragen die Medici zusammen. Von Lorenzo de' Medici erbt sie im 16. Jahrhundert die Familie Farnese - und damit auch ihr Glanzstück, heute bekannt als die "Tazza Farnese".

Sie ist eine Kamee. Im Gegensatz zu einer Gemme im engeren Sinne ist also hier nicht das Bild in den Stein graviert, sondern der Bildhintergrund weggeschnitten. Das eigentliche Motiv erscheint als Relief. Die Tazza Farnese ist die größte Kamee, die es auf der Welt gibt - zwanzig Zentimeter Durchmesser, geschnitten aus einem einzigen Sardonyx, einer farbigen Variante des Onyx.

Das Bild zeigt links einen bärtigen Mann, an einen Baum gelehnt, mit einem Füllhorn. Neben ihm ein Jüngling mit einem Pflug und einem mit Samen gefüllten Sack. Rechts zwei Frauenfiguren; eine trinkt aus einer Schale, die andere hält ein weiteres Füllhorn. Im Vordergrund eine Frau mit Getreideähren in der Hand. Sie sitzt auf einer Sphinx - das versetzt die Szene nach Ägypten. Die Figur verkörpert wohl Eutheneia, die Fruchtbarkeit des über die Ufer getretenen Nils. Der bärtige Mann ist demnach der Nil selbst und die beiden schwebenden Figuren über ihren Köpfen sind die Etesischen Winde, die Nordwinde, die gutes Wetter bringen.

Nicht nur das Bild weist nach Ägypten. Man weiß zwar nicht genau, wann und wo die Schale geschaffen wurde, aber Stilvergleiche deuten darauf hin, dass sie aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus stammt - und zwar aus Alexandria.

Die Rückseite zeigt das abgeschlagene Haupt der Medusa. Neueste Interpetationen sehen in der Frau auf der Sphinx Königin Kleopatra. Demnach könnte der Kontrast zwischen der lebensfrohen Szene auf der Vorderseite und dem Schreckensbild auf der Rückseite die Widersprüche der Pharaonenherrschaft symbolisieren.

Zwei Jahrhunderte nach Papst Paul gibt es in der Familie keine Söhne mehr. Die letzte geborene Farnese ist Elisabetta, Königin von Spanien. 1731 hinterlässt sie die Sammlung ihrem Sohn. Der Bourbone Karl III. wird kurz darauf König in Neapel. Die Kunstschätze sind zu dieser Zeit auf die vielen Paläste der Farnese in Neapel, Rom und Parma verteilt. Karl lässt sie nach und nach in Neapel zusammentragen, um sie in einem Museum zu vereinen. Damit beginnt die Geschichte, die schließlich ein Jahrhundert später zur Gründung des "Königlich-Bourbonischen Museums" führen wird. Und in diesen hundert Jahren wird die feudale Familiensammlung um einen zweiten, noch bedeutenderen Kern wachsen: die unvergleichlichen Funde von Herculaneum und Pompeji.